Irgendwie haben sie sich verfahren. Die Straße mündet in ein Privatgrundstück. Umdrehen ist angesagt: Gar nicht so einfach bei der Menge an Gepäck und der Länge des Gefährts, die Anita und August mit sich führen. »90 Kilo professional Rad kommen zusammen«, sagt August, 61 Jahre alt, Radfahrer auf Zeit und durchaus motiviert. Der ehemalige Bauarbeiter liebt das Abenteuer. Ehefrau Anita ist 62 Jahre alt. Sie ist gerade eben in Pension gegangen.
Die Sache mit den Liegerädern ist ein lang gehegter Traum von beiden. »Stand heute sind wir bereits 2 500 Kilometer unterwegs«, sagt August Betschart, der auf einem Einspurrad unterwegs ist. Der Hintern ist intestine gepolstert. »Keine Schmerzen«, sagt er. Von oben knallt die Sonne. Die Betscharts sind in den Wochen intestine braun geworden. In Schlafposition tritt August in die Pedale. »Gemütlich«, findet er die Fortbewegung. Vor dem Lenker befindet sich ein großes Solarpanel, auf das die Sonne prallt und den Akku mit Energie versorgt. Weitere Module überspannen den Doppel-Anhänger hinten. Das, was die Sonne liefert, reicht dem Duo für alle elektrischen Geräte.
Im vergangenen Jahr hat sich das Paar die Räder zugelegt und dann sukzessive aufgerüstet. Drei Wochen gingen sie auf Proberundreise mit den Rädern – und fühlten sich pudelwohl und zu Größerem berufen. Hinter dem mit Schafwolle ausgelegten Sitz von Anita Betschart hängen mehrere rote Taschen, bis oben hin gefüllt mit allem, was man zum autarken Leben braucht. Essen, Apotheke, Wechselkleidung. In einem weiteren Fahrradanhänger warten der Kühlschrank und die Kaffeemaschine. Auch die Schlafmaske für Anitas Schlafapnoe braucht Strom. »Wir haben alles im Gepäck, was man sich so vorstellt«, sagt August Betschart mit einem Lächeln im Gesicht und im Tonfall des »Schwyzerdütsch«. Wichtig sei, dass die Smartphones immer mit Energie versorgt sind.
Beide Räder sind kleine Technikmaschinen. Elektrisch zum einen. In Greifweite hängen mehrere Fahrradcomputer, die den beiden Rentnern nicht nur den Weg aufzeigen, sondern auch den Überblick über das cellular Sonnenkraftwerk bieten. »Wir versuchen so autark wie möglich zu sein«, sagt der Ehemann.
Das Zwei-Mann-Klappzelt bietet mit all dem mitgeführten Zubehör am Ende des Tages quick schon häusliches Ambiente. »Quick wie zu Hause«, sagt Anita Betschart.
Nur wenn es regnet, wird es manchmal ungemütlich. Im absoluten Notfall wird auf ein Resort ausgewichen. Aber da muss schon viel Wasser vom Himmel kommen. »Wir hatten bis jetzt eine sehr sonnenreiche Tour.« Braun gebrannt sind beide. Bis zu 100 Kilometer machen sie am Tag, manchmal sind es nur 30 oder 50, je nach Tagesform. »Wir wollen auf unserem Weg ja auch etwas von der Umgebung sehen«, sagt Anita Betschart.
Die Strecke führte sie bislang vom Kanton Schwyz in Richtung Budapest, die Donau entlang. Das Ziel erreichten sie. Jetzt befinden sie sich auf dem Rückweg. Mehrere Länder, 1 600 Kilometer, Abstecher inklusive.
Der Bodensee-Königssee-Radweg, der über 455 Kilometer von Lindau bis zum Königssee verläuft, sei bestens geeignet für das Unterfangen: Man komme dort intestine voran und an tollen Orten vorbei. Vorher trudelten sie gerade am Königssee ein. Den kennen und lieben sie seit Langem. Viele Menschen zwar, aber ein schöner Ort für einen Abstecher.
Die meiste Zeit liegen sie auf ihren Rädern. Auf viel befahrenen Straßen ist das gar nicht so ungefährlich, übersehen zu werden. Passiert sei aber noch nichts.
Drei weitere Wochen werden sie noch im Liegerad verbringen, bis sie wieder zu Hause ankommen, schätzt August Betschart. Zeitdruck haben sie nicht. Fürs Erste ist das Abenteuer dann vorbei. Liegeräder sind geduldig: Es sei nicht das letzte Abenteuer auf Rädern gewesen. Kilian Pfeiffer